DORIAN, DOROTHY UND DAS GRAY DES REGENBOGENS
(Unchronologischer Gossip)
(Unchronologischer Gossip)
von Marcus Peter Tesch
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The Picture of Dorian Gray wird 1890 erstmals veröffentlicht. Der einzige Roman des britischen Dandys Oscar Wilde erscheint eingekürzt auf Novellenlänge in Lippincott's Monthly Magazine, einer US-amerikanischen Literaturzeitschrift mit Sitz in Philadelphia. Die Geschichte eines jungen Manns der Londoner Oberschicht, der über Leichen geht, um das Geheimnis seiner unveränderlichen Schönheit verborgen zu halten, ist eine Mischung aus bitterbösem Diskursstück auf das Motiv der ewigen Jugend und campem Schauermärchen: Anstatt seiner selbst altert Dorian Grays Portrait, versteckt vor den Augen der Welt in seinem ehemaligen Kinderzimmer.
Ausgehend von dieser Setzung führt Oscar Wilde ein von Eitelkeit getriebenes Milieu vor, das jegliche Scham und alle Schuldgefühle aufgrund seines dekadenten Lebensstils in einen selbstzerstörerischen Hedonismus sublimiert hat. Und so interessiert sich die Personnage in The Picture of Dorian Gray weder für das Elend der Unterschicht noch für den Ursprung ihres Reichtums. Sie begeistert sich einzig für Tratsch, geistvolle Lästereien und die Wahrung eines makellosen, äusseren Scheins: Das Ideal der glatten Oberfläche, des unbescholtenen Äußeren ist längst an die Stelle einer inneren, moralischen Aufrichtigkeit getreten … Provoziert ist die bürgerliche Leserschaft des ausgehenden viktorianischen Zeitalters dann allerdings eher von den zahlreichen, mal mehr, mal weniger subtilen homoerotischen Anspielungen als von der dem Text innewohnenden, schmerzhaft zynischen Gesellschaftskritik.
1902 wird bei der ersten Übersetzung ins Deutsche aus dem Picture ein Bildnis und es kommt zum bis heute unveränderten Titel: Das Bildnis des Dorian Gray. Der Nachname Gray wird zwar nicht übersetzt, könnte aber eine Anspielung auf den Farbton sein, der sich aus der Mischung von Schwarz und Weiß ergibt: Grau. Dorian Gray hätte uns also theoretisch auch als Dorian Grau bekannt werden können.
Obwohl – ist Grau überhaupt eine Farbe? Oder ist Grau nicht eher das Gegenteil einer Farbe, das Gegenteil aller Farben? Ist Grau das Gegenteil von allem Bunten? Ist alles, was nicht bunt ist, automatisch grau? Ist Grau eine Nichtfarbe?
Picture würde man heute wahrscheinlich mit dem Wort Foto übersetzen. Und nicht mit Bildnis, Gemälde, Bild oder Abbild, auch wenn das etymologisch näher läge. So sagt man im Englischen beispielsweise She took a picture und meint damit Sie hat ein Foto gemacht und eben nicht, wörtlich übersetzt, Sie hat sich ein Foto genommen und auch nicht, falsch übertragen, Sie hat sich ein Bild gemacht.
Wann wird das Picture zum Foto? Und warum ist das Bildnis kein Painting?
Ausgehend von dieser Setzung führt Oscar Wilde ein von Eitelkeit getriebenes Milieu vor, das jegliche Scham und alle Schuldgefühle aufgrund seines dekadenten Lebensstils in einen selbstzerstörerischen Hedonismus sublimiert hat. Und so interessiert sich die Personnage in The Picture of Dorian Gray weder für das Elend der Unterschicht noch für den Ursprung ihres Reichtums. Sie begeistert sich einzig für Tratsch, geistvolle Lästereien und die Wahrung eines makellosen, äusseren Scheins: Das Ideal der glatten Oberfläche, des unbescholtenen Äußeren ist längst an die Stelle einer inneren, moralischen Aufrichtigkeit getreten … Provoziert ist die bürgerliche Leserschaft des ausgehenden viktorianischen Zeitalters dann allerdings eher von den zahlreichen, mal mehr, mal weniger subtilen homoerotischen Anspielungen als von der dem Text innewohnenden, schmerzhaft zynischen Gesellschaftskritik.
1902 wird bei der ersten Übersetzung ins Deutsche aus dem Picture ein Bildnis und es kommt zum bis heute unveränderten Titel: Das Bildnis des Dorian Gray. Der Nachname Gray wird zwar nicht übersetzt, könnte aber eine Anspielung auf den Farbton sein, der sich aus der Mischung von Schwarz und Weiß ergibt: Grau. Dorian Gray hätte uns also theoretisch auch als Dorian Grau bekannt werden können.
Obwohl – ist Grau überhaupt eine Farbe? Oder ist Grau nicht eher das Gegenteil einer Farbe, das Gegenteil aller Farben? Ist Grau das Gegenteil von allem Bunten? Ist alles, was nicht bunt ist, automatisch grau? Ist Grau eine Nichtfarbe?
Picture würde man heute wahrscheinlich mit dem Wort Foto übersetzen. Und nicht mit Bildnis, Gemälde, Bild oder Abbild, auch wenn das etymologisch näher läge. So sagt man im Englischen beispielsweise She took a picture und meint damit Sie hat ein Foto gemacht und eben nicht, wörtlich übersetzt, Sie hat sich ein Foto genommen und auch nicht, falsch übertragen, Sie hat sich ein Bild gemacht.
Wann wird das Picture zum Foto? Und warum ist das Bildnis kein Painting?
Ist Grau überhaupt eine Farbe? Oder ist Grau nicht eher das Gegenteil einer Farbe, das Gegenteil aller Farben?
Heidi Klum wiederholt seit über zwanzig Jahren den Satz Ich habe heute leider kein Foto für dich, was allerdings nichts macht, weil jemand anders hat ganz sicher ein Foto für dich: Auf die nur noch von progressiven Boomern oder rückschrittlichen Millenials genutzte Plattform Instagram (alle anderen nutzen Tiktok oder sind tot) werden pro Stunde ca. vier Millionen und pro Tag ca. 95 Millionen ziemlich farbenfrohe Pictures hochgeladen, Stand April 2025. Wenn ich Picture sage, höre ich
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und das klingt für mich ein bisschen wie das Geräusch, das eine analoge Kamera macht, wenn man auf den Auslöser klickt, was wiederum das Geräusch ist, das eine Handykamera nachahmt, wenn man mit dem Daumen auf den digitalen Fotoknopf tappt:
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1945 kommt die bereits vierte Filmadaption von The Picture of Dorian Gray ins Kino. Und zwar mit der jungen Angela Lansbury in einer der Hauptrollen. Kids der 1990er erinnern sich an sie evtl. noch als mordfallösende Oma und Krimiautorin in der Serie Mord ist ihr Hobby auf SuperRTL, was eine fragwürdige Übersetzung des Originaltitels Murder she wrote ist, macht sie doch aus dem Beruf der Protagonistin eine Freizeitbeschäftigung.
Für mich persönlich gehört Angela Lansbury mit ihrem nahbaren und dennoch großbürgerlichen Charme, ihrer uneitlen, ja … Angela Lansburyhaftigkeit in die gleiche Reihe leicht schrulliger Filmdiven wie Meryl Streep, Bette Midler oder Glenn Close, die ich schon immer bewundere – ich wäre gerne so schnippisch und schlagfertig, so wundervoll selbstironisch wie sie. Aber darum geht es jetzt nicht … Jedenfalls spielt die reale Schauspielerin Angela Lansbury im Film von 1945 die Rolle der fiktiven Schauspielerin Sibyl Vane. Und während Angela Lansbury ein langes Leben vergönnt ist (sie stirbt 2022 im Alter von 96 Jahren), begeht Sibyl Vane in der Romanvorlage wie im Film als junge Frau Selbstmord, als sie nach einer ersten Phase der Schwärmerei von Dorian Gray brutal abgewiesen wird.
Der komplette Film mit all den detailreich ausgestatteten Innenräumen, den wundervollen Gärten ist in Schwarzweiß aufgenommen – bis auf vier kurze Momente, in denen die Kamera auf das jedes Mal monströsere Portrait oder eben Bildnis, das also Picture des Dorian Gray, schwenkt: Sein sich zuletzt krümmender Körper, sein zu einer grauseligen, faltenzerfurchten Fratze schamverzerrtes Gesicht sind in leuchtenden Farben dargestellt.
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Diese farbenfrohe Darstellung eines grauenvollen Alterungsprozesses ist möglich, weil das US-amerikanische Unternehmen Technicolor 1932 das sogenannte Dreistreifen-Verfahren entwickelt. Dabei wird das gleiche Bild separat auf drei Negativen in grün, blau und rot aufgenommen. Diese drei Negative werden dann in der Nachbearbeitung zu einem vollfarbigen Positiv zusammengefügt: einem Farbfilm. Das Display eines modernen Smartphones kann übrigens bis zu 17 Millionen verschiedene Farben darstellen, frage nicht wie.
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1939 kommt »Wizard of Oz« in die Kinos. Beruhend auf einem Kinderbuch von Lyman Frank Baum wird darin die Geschichte des Mädchens Dorothy, gespielt von Judy Garland, erzählt. Das Filmmusical wird oft als Meilenstein in Technicolor bezeichnet und spielt mit einem ganz ähnlichen Effekt wie die Dorian Gray-Verfilmung von 1945.
Bevor der Theatermacher, Schmierölproduzent, Hühnerfarmer und Kinderbuchautor Lyman Frank Baum 13 Fortsetzungsromane zum »Wizard of Oz« schreibt, ruft er 1890 in zwei Zeitungsartikeln zu einer finalen Beendigung der sogenannten Indian Wars auf. Als Indian Wars werden die, sich über mehrere Jahrhunderte ziehenden, kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen weissen Kolonisatoren und den verschiedenen indigenen Völkern Nordamerikas bezeichnet. Um diese Beendigung zu erreichen, spricht Baum sich öffentlichkeitswirksam für eine anihilation, also vollständige und endgültige Vernichtung der indigenen Bevölkerung aus.
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Obwohl Judy Garland zu Beginn der Dreharbeiten zum »Wizard of Oz« bereits 17 Jahre alt ist, wird sie anstatt des Kinderstars Shirley Temple für diese Rolle besetzt – man findet, sie wirke aufgrund ihrer Körpergröße von 1,50 Meter noch kindlich genug, um die Rolle einer Zwölfjährigen zu spielen.
Im »Wizard of Oz« geht’s also um die Geschichte des Mädchens Dorothy – obwohl man zugeben muss, dass es vor allem darum geht, wie hinreißend Judy Garland diese Rolle spielt. Die kleine Dorothy lebt auf einer tristen, ziemlich ärmlichen Farm in Kansas – und bis hierhin schauen wir einen Schwarzweißfilm. Dann wirbelt ein Tornado Dorothy mitsamt Haus und Hund weg aus Kansas und hinein in das Zauberland Oz. Dorothy tut ihren ersten Schritt dort und die Welt um sie herum wird schlagartig bunt: farbloser Realismus ist einer in allen Farben des Regenbogens leuchtenden, magisch-verträumten Kulissenlandschaft gewichen.
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und das klingt für mich ein bisschen wie das Geräusch, das eine analoge Kamera macht, wenn man auf den Auslöser klickt, was wiederum das Geräusch ist, das eine Handykamera nachahmt, wenn man mit dem Daumen auf den digitalen Fotoknopf tappt:
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1945 kommt die bereits vierte Filmadaption von The Picture of Dorian Gray ins Kino. Und zwar mit der jungen Angela Lansbury in einer der Hauptrollen. Kids der 1990er erinnern sich an sie evtl. noch als mordfallösende Oma und Krimiautorin in der Serie Mord ist ihr Hobby auf SuperRTL, was eine fragwürdige Übersetzung des Originaltitels Murder she wrote ist, macht sie doch aus dem Beruf der Protagonistin eine Freizeitbeschäftigung.
Für mich persönlich gehört Angela Lansbury mit ihrem nahbaren und dennoch großbürgerlichen Charme, ihrer uneitlen, ja … Angela Lansburyhaftigkeit in die gleiche Reihe leicht schrulliger Filmdiven wie Meryl Streep, Bette Midler oder Glenn Close, die ich schon immer bewundere – ich wäre gerne so schnippisch und schlagfertig, so wundervoll selbstironisch wie sie. Aber darum geht es jetzt nicht … Jedenfalls spielt die reale Schauspielerin Angela Lansbury im Film von 1945 die Rolle der fiktiven Schauspielerin Sibyl Vane. Und während Angela Lansbury ein langes Leben vergönnt ist (sie stirbt 2022 im Alter von 96 Jahren), begeht Sibyl Vane in der Romanvorlage wie im Film als junge Frau Selbstmord, als sie nach einer ersten Phase der Schwärmerei von Dorian Gray brutal abgewiesen wird.
Der komplette Film mit all den detailreich ausgestatteten Innenräumen, den wundervollen Gärten ist in Schwarzweiß aufgenommen – bis auf vier kurze Momente, in denen die Kamera auf das jedes Mal monströsere Portrait oder eben Bildnis, das also Picture des Dorian Gray, schwenkt: Sein sich zuletzt krümmender Körper, sein zu einer grauseligen, faltenzerfurchten Fratze schamverzerrtes Gesicht sind in leuchtenden Farben dargestellt.
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Diese farbenfrohe Darstellung eines grauenvollen Alterungsprozesses ist möglich, weil das US-amerikanische Unternehmen Technicolor 1932 das sogenannte Dreistreifen-Verfahren entwickelt. Dabei wird das gleiche Bild separat auf drei Negativen in grün, blau und rot aufgenommen. Diese drei Negative werden dann in der Nachbearbeitung zu einem vollfarbigen Positiv zusammengefügt: einem Farbfilm. Das Display eines modernen Smartphones kann übrigens bis zu 17 Millionen verschiedene Farben darstellen, frage nicht wie.
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1939 kommt »Wizard of Oz« in die Kinos. Beruhend auf einem Kinderbuch von Lyman Frank Baum wird darin die Geschichte des Mädchens Dorothy, gespielt von Judy Garland, erzählt. Das Filmmusical wird oft als Meilenstein in Technicolor bezeichnet und spielt mit einem ganz ähnlichen Effekt wie die Dorian Gray-Verfilmung von 1945.
Bevor der Theatermacher, Schmierölproduzent, Hühnerfarmer und Kinderbuchautor Lyman Frank Baum 13 Fortsetzungsromane zum »Wizard of Oz« schreibt, ruft er 1890 in zwei Zeitungsartikeln zu einer finalen Beendigung der sogenannten Indian Wars auf. Als Indian Wars werden die, sich über mehrere Jahrhunderte ziehenden, kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen weissen Kolonisatoren und den verschiedenen indigenen Völkern Nordamerikas bezeichnet. Um diese Beendigung zu erreichen, spricht Baum sich öffentlichkeitswirksam für eine anihilation, also vollständige und endgültige Vernichtung der indigenen Bevölkerung aus.
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Obwohl Judy Garland zu Beginn der Dreharbeiten zum »Wizard of Oz« bereits 17 Jahre alt ist, wird sie anstatt des Kinderstars Shirley Temple für diese Rolle besetzt – man findet, sie wirke aufgrund ihrer Körpergröße von 1,50 Meter noch kindlich genug, um die Rolle einer Zwölfjährigen zu spielen.
Im »Wizard of Oz« geht’s also um die Geschichte des Mädchens Dorothy – obwohl man zugeben muss, dass es vor allem darum geht, wie hinreißend Judy Garland diese Rolle spielt. Die kleine Dorothy lebt auf einer tristen, ziemlich ärmlichen Farm in Kansas – und bis hierhin schauen wir einen Schwarzweißfilm. Dann wirbelt ein Tornado Dorothy mitsamt Haus und Hund weg aus Kansas und hinein in das Zauberland Oz. Dorothy tut ihren ersten Schritt dort und die Welt um sie herum wird schlagartig bunt: farbloser Realismus ist einer in allen Farben des Regenbogens leuchtenden, magisch-verträumten Kulissenlandschaft gewichen.
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Zweifellos verstanden zahlreiche Queers in den USA der 1950er und 1960er das Märchen der kleinen Dorothy als eine Metapher für ihr eigenes Leben.
Kansas ist ein landwirtschaftlich geprägter Staat im Mittleren Westen der USA. Er ist nach dem indigenen Volk der Kansa, Kanza, Konza, Kosa, Quans oder Kaw benannt. Kansa bedeutet möglicherweise Volk des Südwinds oder Wassermenschen, genau konnte ich das nicht herausfinden.
1983 stirbt Walter Kekahbah. Er war der letzte Mensch, der fließend Kansa, so heißt die Sprache der einst auf dem Gebiet des heutigen Kansas lebenden, indigenen Bevölkerung, sprechen konnte.
Nachdem Dorothy sich mit einer Vogelscheuche, einem Blechroboter und einem Löwen angefreundet hat, mit fliegenden Affen kämpft, eine Hexe zum Schmelzen bringt und in die futuristische Smaragdstadt einzieht, kehrt sie zurück in ihre Heimat. Dort ist es farblos wie eh und je: In Kansas herrschen die Grautöne der amerikanischen Wirtschaftskrise, auf die der Film durchaus auch anspielt. Umgeben von Armut und unbunter Trostlosigkeit sagt Dorothy den Satz
Home sweet Home, there´s no place like home
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Judy Garland wird mit dem Titelsong des Films Over the Rainbow und ihrer Verkörperung der Dorothy zu einer Ikone der amerikanischen queeren Community, vor allem schwule Männer verehren sie. Mit der Frage Are you a friend of Dorothy? versucht man in den 1950ern eher herauszufinden, ob das Gegenüber ebenfalls schwul – und weniger, ob der andere tatsächlich mit irgendeiner ominösen Dorothy befreundet ist. Soweit jedenfalls die Legende …
Zweifellos verstanden zahlreiche Queers in den USA der 1950er und 1960er das Märchen der kleinen Dorothy als eine Metapher für ihr eigenes Leben – hatten viele von ihnen doch ebenfalls ihre Heimat in der mittelamerikanischen Provinz verlassen um in New York oder San Francisco in einer liberalen und toleranteren Umgebung ihre Sexualität und ihre Identität freier auszuleben.
Am 22. Juni 1969 stirbt Judy Garland in London an einer vermutlich unabsichtlich eingenommenen Überdosis des Schlafmittels Secobarbital. Angeblich reisen über 13.000 schwule Männer aus den ganzen USA zu ihrer Beerdigung nach New York an. Und vielleicht ist es nur queere Folklore, aber anscheinend hat Judy Garlands Beisetzung am 27. Juni 1969 die Schwulen dermaßen in die Krise gestürzt, dass eine Nacht später und angeführt von Drag Queens, trans Frauen und Sexarbeiter:innen die legendären Stonewall Riots in der Christopher Street in New York ausbrechen: ein wütendes Aufbegehren gegen die Kriminalisierung von Homosexualität, repressive queerfeindliche Politik und die Brutalität staatlicher Institutionen im Umgang mit trans Menschen. Und nichts weniger als der Beginn der amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung.
Sicher ist, dass 74 Jahre zuvor, nämlich 1895 und auf der anderen Seite des Atlantiks, Oscar Wilde in das Zuchthaus in Reading gebracht wird. Er wird diesen Ort zwei Jahre später verlassen – körperlich wie psychisch von Zwangsarbeit zugrunde gerichtet, ökonomisch ruiniert und gesellschaftlich geächtet. Offizielle Begründung dieser Verurteilung wegen Unzucht sind seine zahlreichen Affären mit Sexarbeitern aus der Unterschicht, tatsächlicher Grund dürfte seine Beziehung zum sechzehn Jahre jüngeren Lord Alfred Douglas sein, einem Angehörigen des britischen Hochadels und vielleicht reales Vorbild für die fiktive Figur des Dorian Gray. Die Gerichtsprozesse gegen Wilde finden auch auf Bemühung von dessen Vater John Douglas, dem 9. Marquess of Queensberry, statt.
Im Gefängnis schreibt Wilde einen langen Brief an seinen jahrelangen Lover Lord Douglas, den er für seine Misere verantwortlich macht, ihre Beziehung scheint von gegenseitiger Manipulation und Abhängigkeit geprägt gewesen zu sein. In diesem Brief verteidigt Wilde seinen ausschweifenden, hedonistischen Lebensstil, begreift ihn jedoch nur als den einen Teil eines erfüllten, bedeutenden Lebens. Was den anderen Teil dieses Lebens ausmacht, benennt Wilde nicht genauer, aber er schreibt darüber im Kontext des einen von zwei Sätzen über Dorian Gray
a great deal of it is hidden away in the note of doom that like a purple thread runs through the texture of Dorian Gray
Ist für Wilde Lila die Komplementärfarbe zu Gray, also grau? Und warum hat das Verderben eine Farbe – nämlich Lila?
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1983 stirbt Walter Kekahbah. Er war der letzte Mensch, der fließend Kansa, so heißt die Sprache der einst auf dem Gebiet des heutigen Kansas lebenden, indigenen Bevölkerung, sprechen konnte.
Nachdem Dorothy sich mit einer Vogelscheuche, einem Blechroboter und einem Löwen angefreundet hat, mit fliegenden Affen kämpft, eine Hexe zum Schmelzen bringt und in die futuristische Smaragdstadt einzieht, kehrt sie zurück in ihre Heimat. Dort ist es farblos wie eh und je: In Kansas herrschen die Grautöne der amerikanischen Wirtschaftskrise, auf die der Film durchaus auch anspielt. Umgeben von Armut und unbunter Trostlosigkeit sagt Dorothy den Satz
Home sweet Home, there´s no place like home
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Judy Garland wird mit dem Titelsong des Films Over the Rainbow und ihrer Verkörperung der Dorothy zu einer Ikone der amerikanischen queeren Community, vor allem schwule Männer verehren sie. Mit der Frage Are you a friend of Dorothy? versucht man in den 1950ern eher herauszufinden, ob das Gegenüber ebenfalls schwul – und weniger, ob der andere tatsächlich mit irgendeiner ominösen Dorothy befreundet ist. Soweit jedenfalls die Legende …
Zweifellos verstanden zahlreiche Queers in den USA der 1950er und 1960er das Märchen der kleinen Dorothy als eine Metapher für ihr eigenes Leben – hatten viele von ihnen doch ebenfalls ihre Heimat in der mittelamerikanischen Provinz verlassen um in New York oder San Francisco in einer liberalen und toleranteren Umgebung ihre Sexualität und ihre Identität freier auszuleben.
Am 22. Juni 1969 stirbt Judy Garland in London an einer vermutlich unabsichtlich eingenommenen Überdosis des Schlafmittels Secobarbital. Angeblich reisen über 13.000 schwule Männer aus den ganzen USA zu ihrer Beerdigung nach New York an. Und vielleicht ist es nur queere Folklore, aber anscheinend hat Judy Garlands Beisetzung am 27. Juni 1969 die Schwulen dermaßen in die Krise gestürzt, dass eine Nacht später und angeführt von Drag Queens, trans Frauen und Sexarbeiter:innen die legendären Stonewall Riots in der Christopher Street in New York ausbrechen: ein wütendes Aufbegehren gegen die Kriminalisierung von Homosexualität, repressive queerfeindliche Politik und die Brutalität staatlicher Institutionen im Umgang mit trans Menschen. Und nichts weniger als der Beginn der amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung.
Sicher ist, dass 74 Jahre zuvor, nämlich 1895 und auf der anderen Seite des Atlantiks, Oscar Wilde in das Zuchthaus in Reading gebracht wird. Er wird diesen Ort zwei Jahre später verlassen – körperlich wie psychisch von Zwangsarbeit zugrunde gerichtet, ökonomisch ruiniert und gesellschaftlich geächtet. Offizielle Begründung dieser Verurteilung wegen Unzucht sind seine zahlreichen Affären mit Sexarbeitern aus der Unterschicht, tatsächlicher Grund dürfte seine Beziehung zum sechzehn Jahre jüngeren Lord Alfred Douglas sein, einem Angehörigen des britischen Hochadels und vielleicht reales Vorbild für die fiktive Figur des Dorian Gray. Die Gerichtsprozesse gegen Wilde finden auch auf Bemühung von dessen Vater John Douglas, dem 9. Marquess of Queensberry, statt.
Im Gefängnis schreibt Wilde einen langen Brief an seinen jahrelangen Lover Lord Douglas, den er für seine Misere verantwortlich macht, ihre Beziehung scheint von gegenseitiger Manipulation und Abhängigkeit geprägt gewesen zu sein. In diesem Brief verteidigt Wilde seinen ausschweifenden, hedonistischen Lebensstil, begreift ihn jedoch nur als den einen Teil eines erfüllten, bedeutenden Lebens. Was den anderen Teil dieses Lebens ausmacht, benennt Wilde nicht genauer, aber er schreibt darüber im Kontext des einen von zwei Sätzen über Dorian Gray
a great deal of it is hidden away in the note of doom that like a purple thread runs through the texture of Dorian Gray
Ist für Wilde Lila die Komplementärfarbe zu Gray, also grau? Und warum hat das Verderben eine Farbe – nämlich Lila?
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In diesem Brief verteidigt Wilde seinen ausschweifenden, hedonistischen Lebensstil, begreift ihn jedoch nur als den einen Teil eines erfüllten, bedeutenden Lebens.
Das San Francisco des 19. Jahrhunderts ist geprägt vom schnellen Reichtum des Goldrauschs und einer Armut an Frauen. Daher tanzen beim Square Dance ganz pragmatisch auch Männer mit Männern. Damit niemand durcheinander kommt, lassen die Tänzer in der männlichen Rolle ein blaues Halstuch aus ihrer Arschtasche hängen. Wer in der weiblichen Rolle tanzt, trägt ein rotes Halstuch.
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In der schwul-lesbischen Community der Stadt wird diese Anekdote für den Ursprung des sogenannten Hanky Codes gehalten, der sich vor allem in der schwulen Lederszene der 1970er Jahre entwickelt: Je nachdem, wie, wo am Körper und in welcher Farbe man sein Halstuch trägt, kann man ohne ein einziges Wort kommunizieren, worauf man beim Sex steht und in welcher Position man es gernhat: Dom oder Sub, Bottom oder Top, passiv oder aktiv. Sie wissen schon.
Ich bin mir unsicher, welchen Farbton Wilde genau mit purple meinte, aber ein rosa Tuch symbolisiert, dass man Dildospiele gut findet, wer Altrosa trägt, mag Nippleplay, Magenta steht fürs Achselhöhlen lecken und Fuchsia für Spanking.
Wenn die Lilatöne, genau wie die restlichen Farben des seit Judy Garland viel besungenen Regenbogens, ein aufregendes Sexleben symbolisieren, wofür steht dann das Grau in Dorian Gray? Ist Grau vielleicht einfach das alltägliche Grauen der Spiessigkeit, der alltägliche Alptraum, Grau in all seinen todeslangweiligen Schattierungen zwischen Weiß und Schwarz, grau wie ein fahles Gesicht oder der Berliner Winter, ein Wandtattoo in Schnörkelschrift? Ist die Missionarsstellung grau?
Ich muss zugeben, das fände ich ziemlich einfallslos und wenig überraschend.
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In der schwul-lesbischen Community der Stadt wird diese Anekdote für den Ursprung des sogenannten Hanky Codes gehalten, der sich vor allem in der schwulen Lederszene der 1970er Jahre entwickelt: Je nachdem, wie, wo am Körper und in welcher Farbe man sein Halstuch trägt, kann man ohne ein einziges Wort kommunizieren, worauf man beim Sex steht und in welcher Position man es gernhat: Dom oder Sub, Bottom oder Top, passiv oder aktiv. Sie wissen schon.
Ich bin mir unsicher, welchen Farbton Wilde genau mit purple meinte, aber ein rosa Tuch symbolisiert, dass man Dildospiele gut findet, wer Altrosa trägt, mag Nippleplay, Magenta steht fürs Achselhöhlen lecken und Fuchsia für Spanking.
Wenn die Lilatöne, genau wie die restlichen Farben des seit Judy Garland viel besungenen Regenbogens, ein aufregendes Sexleben symbolisieren, wofür steht dann das Grau in Dorian Gray? Ist Grau vielleicht einfach das alltägliche Grauen der Spiessigkeit, der alltägliche Alptraum, Grau in all seinen todeslangweiligen Schattierungen zwischen Weiß und Schwarz, grau wie ein fahles Gesicht oder der Berliner Winter, ein Wandtattoo in Schnörkelschrift? Ist die Missionarsstellung grau?
Ich muss zugeben, das fände ich ziemlich einfallslos und wenig überraschend.
Wenn die Lilatöne, genau wie die restlichen Farben des seit Judy Garland viel besungenen Regenbogens, ein aufregendes Sexleben symbolisieren, wofür steht dann das Grau in Dorian Gray?
Ist grau alles, was nicht bunt ist und bunt alles, was nicht grau ist? Ist der Horror des Menschseins, der sekündlich voranschreitende Prozess des körperlichen Verfalls, bunt, schreiend bunt und quälend farbenfroh – wie in der Dorian Gray-Verfilmung mit Angela Lansbury?
Und besteht nicht das Grauen der sogenannten Pictures auf den sozialen Medien, in den Zeitungen und im Fernsehen auch darin, dass in einem Moment ein verstümmelter Körper die menschenverachtende Brutalität eines Krieges bezeugt und im nächsten ein unversehrter als Werbung für eine neue Fitness App durchs Bild hüpft? Ergibt diese Aneinanderreihung von Bildern nicht ein Grauen, so bonbonfarben bunt wie alle Regenbogen der Welt zugleich? Ein pornografisch zur Schau gestelltes, in 17 Millionen verschiedenen Farbtönen darstellbares Grauen?
Und besteht nicht das Grauen der sogenannten Pictures auf den sozialen Medien, in den Zeitungen und im Fernsehen auch darin, dass in einem Moment ein verstümmelter Körper die menschenverachtende Brutalität eines Krieges bezeugt und im nächsten ein unversehrter als Werbung für eine neue Fitness App durchs Bild hüpft? Ergibt diese Aneinanderreihung von Bildern nicht ein Grauen, so bonbonfarben bunt wie alle Regenbogen der Welt zugleich? Ein pornografisch zur Schau gestelltes, in 17 Millionen verschiedenen Farbtönen darstellbares Grauen?

Oder ist Grau eben gar keine Farbe, sondern ein erstrebenswerter Zustand völliger Eintönigkeit in einer Welt des Spektakulären, der brüllenden Tausendfarbigkeit? Ist Grau eine Einstellung? Ein Akt der Verweigerung, mit dem sich die Blicke der Betrachtenden zurückspiegeln lassen? Das, was da ist, bevor irgendeine Form von Projektion, von Einfärbung oder Verfärbung, von Verfälschung stattfinden konnte? Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass es gerade jetzt in Mode kommt, auf dem Smartphone einen sogenannten Schwarz-Weiß-Modus zu aktivieren (dazu einfach in den Einstellungen auf Farbfilter klicken).
Obwohl, das klingt jetzt so, als wäre eine jede eingefärbte Oberfläche lediglich trügerische Hülle, die irgendein ominöses Eigentliches, Wahrhaftiges versteckt. Aber ist nicht, insbesondere in einem queeren Kontext, die Gestaltung des Äußeren immer auch und vor allem ein diskursiver Akt, die Oberfläche Eins mit dem Inneren, die ewigen Dualismen Körper-Seele,Innen-Außen aufgelöst?
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Legt man alle Farben des Regenbogens an einer Stelle aufeinander, ergibt das ein wunderschönes, ein samtig-dunkles, ein sattes Grau.
Marcus Peter Tesch beschäftigt sich in seinen Projekten mit der Neuerzählung und Sichtbarmachung queerer Geschichte(n) und setzt sich mit Klassismus und dessen Erzählbarkeit auf der Bühne auseinander. Inszenierungen seiner Texte waren u. a. am Deutschen Theater, Berlin, dem Theater Rampe, Stuttgart und der Berliner Schaubühne zu sehen.
Ran Chai Bar-zvi inszeniert »Das Bildnis des Dorian Gray« nach Oscar Wilde mit einem Kommentar von Marcus Peter Tesch [Uraufführung] in den Kammerspielen. Premiere ist am 12. Dezember 2025.
Obwohl, das klingt jetzt so, als wäre eine jede eingefärbte Oberfläche lediglich trügerische Hülle, die irgendein ominöses Eigentliches, Wahrhaftiges versteckt. Aber ist nicht, insbesondere in einem queeren Kontext, die Gestaltung des Äußeren immer auch und vor allem ein diskursiver Akt, die Oberfläche Eins mit dem Inneren, die ewigen Dualismen Körper-Seele,Innen-Außen aufgelöst?
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Legt man alle Farben des Regenbogens an einer Stelle aufeinander, ergibt das ein wunderschönes, ein samtig-dunkles, ein sattes Grau.
Marcus Peter Tesch beschäftigt sich in seinen Projekten mit der Neuerzählung und Sichtbarmachung queerer Geschichte(n) und setzt sich mit Klassismus und dessen Erzählbarkeit auf der Bühne auseinander. Inszenierungen seiner Texte waren u. a. am Deutschen Theater, Berlin, dem Theater Rampe, Stuttgart und der Berliner Schaubühne zu sehen.
Ran Chai Bar-zvi inszeniert »Das Bildnis des Dorian Gray« nach Oscar Wilde mit einem Kommentar von Marcus Peter Tesch [Uraufführung] in den Kammerspielen. Premiere ist am 12. Dezember 2025.